19.05.2011
Vor 40 Jahren: RWFs PIONIERE IN INGOLSTADT

Fassbinders Interpretation des kleinbürgerlichen Idylls 

Als das in der bayerischen Provinz spielende Stück „Pioniere in Ingolstadt” von Marieluise Fleißer ein Jahr nach seiner Dresdner Uraufführung 1929 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm gezeigt wurde, löste es aufgrund seiner Thematik der Abhängigkeit und Unterdrückung im Militär- und Zivilleben Ende der 1920er einen Theaterskandal aus. Bertolt Brecht, der maßgeblich zu dessen Entstehung beitrug, übernahm die Regie, jedoch mit wesentlichen Änderungen am Uraufführungstext. Mehr als vier Jahrzehnte später suchte Rainer Werner Fassbinder 1970 die Autorin Marieluise Fleißer auf und erbat sich von ihr die Rechte am originalen Text ihres Stückes, nach dessen Vorlage er dann das Drehbuch zur Filmfassung schrieb. Der Film, dessen Handlung Fassbinder in die Gegenwart verlegte, entstand im November 1970 an originalen Drehorten in Landsberg am Lech  in 35mm und Farbe. Er wurde im Auftrag des ZDF von der Janus Film zusammen mit dem antiteater-Ensemble produziert und am 19.05.1971 erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt.  

Als ein Pionierbautrupp in Ingolstadt einzieht, bringt er Bewegung in die Kleinstadtidylle. Das Dienstmädchen Berta (Hanna Schygulla) verliebt sich in den Soldaten Karl (Harry Baer) in der blinden Hoffnung, in ihm ihre große Liebe zu finden. Aber Karl, wie auch all die anderen Männer des Trupps, spielt lediglich mit den Frauen. Die Pioniere selbst leiden unter der Herrschaft ihres Feldwebels (Klaus Löwitsch), der sie schindet und an ihnen seine Männlichkeitskomplexe abreagiert. 

Fassbinder entblößt mit seiner Adaption des Stücks das soziale Milieu der kleinbürgerlichen Gesellschaft in seiner Universalität. Ob im oberbayerischen Ingolstadt der 70er Jahre oder jedem anderen provinziellen Ort – die Langeweile der kleinbürgerlichen Welt ist überall präsent und selbst der Versuch darüber mit Liebesabenteuern und Machtspielen hinwegzutäuschen, bringt keine wirkliche Bewegung und Veränderung in die festgefahrenen Rituale der Männer untereinander und in ihre Beziehungen zu Frauen. Am Ende ziehen die Pioniere wieder ab, und Berta bleibt ohne die Erfüllung ihrer Träume alleine zurück. 

Mehr Informationen: 

RWFF Filmografie zu PIONIERE IN INGOLSTADT

Foto links: Hanna Schygulla und Günther Kaufmann in PIONIERE IN INGOLSTADT, 1970 © RWFF 

Foto rechts: Klaus Köwitsch in PIONIERE IN INGOLSTADT, 1970 © RWFF



zurück Mehr News

 

©2010 Rainer Werner Fassbinder Foundation | Impressum