Paris, 14.04.2005
Ein Feminist, ein Philosoph, ein Deutscher

Fassbinder in Paris / Von Verena Lueken

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Eine Retrospektive mit dreiundvierzig Filmen, begleitet von einem dickleibigen Katalogbuch, einer Ausstellung, einem Kolloquium und einer DVD-Edition - Frankreich ehrt Rainer Werner Fassbinder, und den Franzosen muß niemand erklären, wer das war und warum er jeder Ehrung wert ist.

In Deutschland ist das anders. Da ist Fassbinder inzwischen eine unbekannte Größe, wobei nicht einmal sicher ist, ob Größe ihm tatsächlich zugeschrieben wird, wenn es um sein Werk geht und nicht um seine Lebensgier, seine Arbeitswut, die Exzesse und Skandale. Seine Filme sind dreiundzwanzig Jahre nach seinem Tod mehr oder weniger vergessen und lange schon in keinem Kino mehr zu sehen. Wer feststellen will, ob das ein Verlust ist, muß nach New York fahren, wo das Museum of Modern Art Fassbinders Werk betreut, oder eben nach Paris, ins Centre Pompidou.

Zuviel Andrang für die Kinos

Dort war am Dienstag abend zur Eröffnung von Ausstellung und Retrospektive der Andrang größer, als die beiden Kinos fassen konnten, und trotz Einladung zogen viele Interessierte enttäuscht wieder ab. Die anderen saßen geduldig und, wenn die Stille in den Sälen so zu deuten ist, gebannt durch einige Reden, zwei frühe Kurzfilme und den langen und langsamen „Liebe ist kälter als der Tod”, bevor gegen elf Uhr abends dann die Ausstellungseröffnung ihren Lauf nahm.
Was die Franzosen denn so fasziniert an Fassbinder? Die Antwort aus vielen Mündern ist immer die gleiche: „Er war ein großer Cineast und ein rigoroser Philosoph” - und damit schon beinahe ein Franzose. Auf dieselbe Frage, gestellt in New York anläßlich der umfassenden und nicht minder populären Retrospektive im MoMa 1997, reagierten die Amerikaner ganz anders: „Fassbinder, das war ein großer Deutscher.”

Genialisches cinephiles Patchwork

Daß die Franzosen der Überzeugung sind, Fassbinders Filme, durchdrungen von filmhistorischen Referenzen und gespickt mit Zitaten aus der großen Zeit der auteurs im amerikanischen wie französischen Kino, seien ein genialisches cinephiles Patchwork und damit lebhaft sprudelnder Jungbrunnen der siebten Kunst, ist sicher ebenso richtig wie ihr Glaube falsch, er sei ein Fackelträger postexistentialistischer Philosophie gewesen, ein Denker und Theoretiker wie Jean-Luc Godard.
Die Amerikaner wiederum, die sich um Philosophie nicht viel scheren, finden bei Fassbinder eine Antwort darauf, wie es sich lebt mit der deutschen Geschichte und was es heißt, nach dem Krieg ein Deutscher zu sein, was die Geschichte mit den Gefühlen macht und was aus den Menschen wird, die in der Ödnis eines innerlich wie äußerlich verheerten Landes umherirren. Vielleicht sind das Fragen, die den Franzosen zu nahe gehen und die sie meiden, indem sie einfach sagen: Fassbinder war ein Europäer. Immerhin sind sie damit ein Stück weiter als die Deutschen. Die fragen angesichts eines Künstlers, der in Paris wie New York als neben Gerhard Richter und Sigmar Polke bedeutendster Nachkriegskünstler ihres Landes gilt, überhaupt nichts.

Keine Installation fürs Gefühl

Die Ausstellung im Untergeschoß des Centre Pompidou präsentiert sich minimalistisch. Wenn man sich im Foyer über das Geländer beugt und hinabschaut, könnte man die vierzehn langgezogenen Glastische, beleuchtet aus eckigen Lampenarmen an ihrer Seite, auch für einen Raum von Donald Judd halten, klar und kalt, keine Installation fürs Gefühl.
Der Ausstellungsdesigner Francois Nemer hat in jeder dieser Vitrinen neben einem Originalplakat kleinformatig Filmszenen aneinandergereiht, die aus jeweils derselben Werkperiode stammen und visuelle Muster, wiederkehrende Einstellungen, bevorzugt benutzte Kadrierungen und Bildmotive deutlich werden lassen, ohne daß es einer Beschriftung bedürfte - Zigaretten, Küsse, Revolver, Menschen hinter Autoscheiben, Gruppen auf Landstraßen, Divenauftritte, Divenniedergänge, verschlungene Paare, niedergeschlagene Männer, Tote in verlassenen Hallen.

Im Zentrum klafft Leere

Im Zentrum dieser klaren Tischordnung klafft eine Leere, Material zu einem Film, der fehlt: „Berlin Alexanderplatz”, eines der Hauptwerke Fassbinders. Die fünfzehneinhalbstündige Fernsehserie ist, abgesehen von Copyrightfragen, die eine Projektion verhindern, auch konservatorisch in so katastrophalem Zustand, daß sie im Augenblick nicht vorgeführt werden kann. Ein Antrag der Fassbinder Foundation auf Förderung der Restaurierung liegt unbeantwortet bei der Bundeskulturstiftung.
In Paris also sehen wir statt der Fernsehserie nur eine Vitrine voller Arbeitsnotizen dazu, Szenen von Dreharbeiten, Strichlisten über die Zahl der Auftritte bestimmter Schauspieler, Kostümentwürfe und ein Storyboard, gezeichnet mit rotem Kugelschreiber und durchlöchert von der Glut einer offenbar vergessenen Zigarette: Werkstattobjekte, aus denen sich schließen läßt, daß Fassbinder parallel zur Produktion der Fernsehfassung seine Absicht weiterverfolgte, aus Döblins Roman einen Kinofilm zu machen, hätten sich für ein solch monumentales Vorhaben Geldgeber finden lassen.

Nicht zu unterschätzender Kitschgehalt

Das einzige Stück in der Ausstellung, das den strengen Zugriff durchbricht, ist eine Jukebox: „Let's Go Get Stoned” kann man da etwa wählen, das Lied von Ray Charles, das eine der verführerischsten Szenen in „Warnung vor einer heiligen Nutte” begleitet, Songs von Elvis Presley, Glenn Miller und vielen anderen, und dabei feststellen, daß nicht nur die Lieder, sondern auch die Tonträger, Plattenspieler, Tonbandgeräte, Autoradios eine immer wiederkehrende Rolle bei Fassbinder spielen - ein willkommener Hinweis darauf, daß nicht nur der Säure-, sondern auch der Kitschgehalt der Fassbinder-Welt nicht zu unterschätzen ist, selbst wenn er, wie bei seinen großen Vorbildern in Hollywood, kein Ausfluß von Verlogenheit ist, sondern Ergebnis des Leidens am unvermeidbaren Scheitern großer Gefühle in einer falschen Welt.
Am Anfang, in seinen rohen Filmen, von denen „Der Stadtstreicher”, sein frühester erhaltener Kurzfilm von 1966, „Das kleine Chaos” von 1967 und eben „Liebe ist kälter als der Tod” aus dem Jahr 1969 zur Eröffnung in Paris gezeigt wurden, sehen wir keine Gefühle, sondern nur Gesten, die sie bezeichnen, Versuchsanordnungen jenseits psychologischer Wirklichkeit in Räumen ohne soziale Bezüge. Aber auch in ihnen hören wir die Songs, die aus der Jukebox kommen.

Gewalt zwischen den Geschlechtern

Fassbinder und die Frauen, Fassbinder, die Politik nach 1968 und der deutsche Terrorismus - das sind die beliebtesten Themen, denen die Franzosen in seinem Werk nachspüren und denen im Centre Pompidou zwei Videowände gewidmet sind. Ein Mann ohrfeigt eine Frau. Eine Frau klammert sich an ein Männerbein. Ein Mann haut einer Frau auf den Kopf. Ein Mann schlägt eine Frau zu Boden, ein anderer erschießt eine, wieder ein anderer wirft sich auf einen sonnenverbrannten Frauenkörper, ein Männerarm stößt einen Frauenkopf in die Kissen: Gewalttätiger als in Fassbinders Filmen ging es zwischen den Geschlechtern selten zu im deutschen Kino, und so sagt Francois Nemer, der diese Ausschnitte aneinandergeklebt hat, auch: „Fassbinder, der war ein Feminist.” Obwohl er das wahrscheinlich nicht war, sowenig wie ein Achtundsechziger, was die Franzosen ebenfalls gern glauben würden, ist das kein entscheidendes Mißverständnis. Fassbinder schaute auf die Ränder der Gesellschaft, und dort standen sie nun mal, die Frauen, oder lagen niedergeschlagen da.
Am 31. Mai wäre Fassbinder sechzig geworden, ein Datum, auf das die Pariser Ausstellung zuläuft. Obwohl der einfache Aufbau der Schau nahelegt, daß sie relativ kostengünstig reisen könnte und ohne Probleme andernorts zu präsentieren wäre, hat kein deutsches Museum sie bisher gebucht; immerhin zeigte die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen am Eröffnungsabend Interesse. Auch ansonsten sind in Deutschland keine großen Ereignisse zum Geburtstag angekündigt. Wahrscheinlich werden ein paar Artikel geschrieben, und die Filme weiterhin weitgehend ungesehen bleiben. Wie sich in Paris wieder zeigte, ist das ein Verlust.

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