Liebe ist kälter als der Tod

Joe Hembus ĂĽber Fassbinders ersten Spielfilm

Jede Inhaltsangabe des Films, auch die unsere, kann nur trügerisch sein, weil sie sich zwangsläufig an Handlung festhält und die langen, für die Beziehungen der Figuren wichtigen Passagen vernachlässigt, in denen gar nichts passiert, sondern nur etwas gezeigt wird: drei Minuten lang nur ein Spaziergang von Bruno, Franz und Joanna auf der Landstraße, oder fast drei Minuten lang eine Fahrt durch die Landsbergerstraße. Diese berühmte Landsbergerstraßen-Fahrt bekam Fassbinder von Straub geschenkt, es ist eine nicht verwendete Aufnahme für DER BRÄUTIGAM, DIE KOMÖDIANTIN UND DER ZUHÄLTER. Der Einfluss von Straub und seinem Stil der rigorosen Askese ist auch ansonsten unübersehbar: „0hne Straub kein Fassbinder“, sagte Heinrich Böll in einem „Apropos Film“-Interview 1977. Wie Straub räumt Fassbinder alle als filmisch geltenden, aber für den Kern der Sache irrelevanten Reiz-Momente von Sprache, Gestik, Ausstattung und Milieu, an die sich Auge und Aufmerksamkeit des Zuschauers klammern könnten, entschieden weg, ohne an dem, was bleibt, eine Stilisierung vorzunehmen. Dass er der Sinnlichkeit mehr Bedeutung beimisst als Straub, wird besonders deutlich in den komischen Szenen des Films, in der Kaufhaus-Sequenz etwa, in der die drei Helden das Personal so durcheinanderbringen, dass sie drei Sonnenbrillen klauen können, die Komik des sarkastischen Schelmenstücks, die dann mit der erhabenen und melancholischen Grazie, zu der nur die Musik aus dem „Rosenkavalier“ passt, variiert wird in dem Lebensmittel-Klau-Spaziergang durch einen Supermarkt, eine der schönsten Sequenzen der ganzen Filmgeschichte. Aus den Interview-Auskünften Fassbinders über die Kriminalisierung der Gefühle wird schon klar, dass dieser erste Fassbinder-Film thematisch alle folgenden vorwegnimmt; es geht um die Schwierigkeiten, die die Leute in ihren Beziehungen haben; um die armselige Art, mit der sie mit ihren Empfindungen und mit dem Nächsten umgehen; um die Ausbeutbarkeit der Gefühle; um die Dialektik von Erfolg und Glück. Franz beutet die Gefühle von Joanna aus, und Bruno beutet die Gefühle von Franz aus, und das kann nicht ewig gut gehen, nur solange nämlich, bis Joanna, die sich das Leben durchaus nicht so vorstellt als fatale Dreierbeziehung, den großen Coup hochgehen lässt – so wie zehn Jahre später Maria Braun das Haus, in dem sie mit ihrem Mann glücklich geworden wäre, hätte der nicht mit einem anderen Mann ein dummes Ding gedreht.

Aus: Robert Fischer/Joe Hembus: Der Neue Deutsche Film 1960-1980. MĂĽnchen: Goldmann 1981

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