Gangster in kleinen Verhältnissen

R.W. Fassbinders Film „Liebe ist kälter als der Tod“

Mit minimalem Budget und auf eigenes Risiko hatte Rainer Werner Fassbinder, damals noch kaum über München hinaus bekannter Leiter des anti-Theaters [sic], 1969 seinen ersten Film LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD realisiert. Die Anklänge an die Großen des Kriminalfilms von Howard Hawks bis zu Jean-Pierre Melville, aber auch an Godard und Jean-Marie Straub sind unübersehbar, doch von Fassbinder auch ausdrücklich im Vorspann genannt.
Fassbinders Gangster leben jedoch nicht in Chicago oder Paris, sie vegetieren in kleinen Verhältnissen, ihre Gesten und Haltungen sind oft nur linkische Nachahmungen der großen Kino-Vorbilder. Ihre Unternehmungen schließlich verweisen nur auf die kleinbürgerliche Misere, aus der sie vergebens auszubrechen versuchen: Einer will nicht ins Syndikat, aber er soll. Ein anderer, der ihn dazu bringen soll, wird erschossen. Zuvor lebt man eine Weile zu dritt, mit dem Mädchen Joanna, das auf den Strich geht, so das nötige Geld beschafft, aber als einzige noch von einer bürgerlichen Existenz träumt. Sie, die noch Liebesgefühle hat und deshalb ausgenutzt wird, alarmiert schließlich die Polizei.
Das Reißerische üblicher Kriminalfilme gibt es bei Fassbinder nicht, ebenso wenig psychologische oder soziologische Begründungen. Die Kälte und Abstraktheit, die die Vorgänge durch lange statische Einstellungen, langsame Kamerafahrten und nicht zuletzt durch einen äußerst verknappten Dialog gewinnen, bedürfen der Ergänzung durch den Zuschauer und dessen Kinoerfahrungen.
Fassbinder, der nach seinem ersten Film noch belächelt wurde, hat seither die wohl überraschendste Karriere im deutschen Kulturbetrieb gemacht: inzwischen hat er neun Filme gedreht – einer seiner letzten (RIO DAS MORTES) wird im Februar vom Fernsehen gezeigt –, zahlreiche Preise – vor allem für KATZELMACHER – eingeheimst und ist auch zum gesuchten Bühnenautor und -regisseur geworden.

Wolfgang Ruf

SĂĽddeutsche Zeitung, 18. Januar 1971

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