Rainer Werner Fassbinder ĂĽber seinen Film CHINESISCHES ROULETTE

Stichwort „Ehe“

Ich habe den Film vor allem deswegen gemacht, weil er scheinbar ein Film für die Ehe, für die Institution Ehe ist, und weil gerade das so infam ist, dass er genauer sagt, wie falsch und zerstörerisch Ehen sind, als andere Filme, die scheinbar offener gegen die Ehe gerichtet sind.

Stichwort „Konflikte“


Ich finde, dass sich Beziehungen zwischen Menschen weitgehend durch Konflikte definieren. Wenn ich mich hinsetze und einfach etwas hinschreibe, ohne groĂź nachzudenken, dann wird da wahrscheinlich mehr von Konflikten die Rede sein als von Zuwendungen zwischen Menschen. Dass die Beziehungen zwischen den Leuten im Film eher Konfliktbeziehungen sind, das hat sich so ergeben, das war nicht gewollt.

Stichwort “Scheinsicherheit“


Die Ehe als Institution gibt den Leuten eine Scheinsicherheit des Zueinandergehörens, die sie nicht mehr zwingt, eben diese Sicherheit ständig auf eine positive und zärtliche Art zu überprüfen; sie werden erst gezwungen, das zu tun, wenn es Konflikt gibt, d.h. wenn die Konflikte anfangen, dann ist auch die Ehe schon kaputt. Dann wird nur noch gekittet.

Stichwort „Realismus“


Der Film will gar nicht realistisch sein, er will nicht behaupten: so könnte es sein. Er ist eine Raffung von Realität und wirkt vielleicht gerade deswegen auf Betrachter letztlich realistischer. Das gilt auch für SATANSBRATEN und für ICH WILL DOCH NUR, DASS IHR MICH LIEBT. Weil ich ja im Grunde realistische Filme eher hasse.

Stichwort „Wahrheitsspiel“


Das Spiel kann man tatsächlich spielen. Unser Vorteil war, dass wir das Spiel gespielt und die Erfahrung gemacht haben, dass das, was im Film passiert, sich auch wirklich ereignen kann. Das sage ich nur, um unsere Haltung zur Arbeit zu charakterisieren: wir haben gemerkt, dass solche Spiele wirklich Leute total zum Ausflippen bringen können, dass das nicht nur eine Vorführung ist. Wir hatten das schon mal während eines Griechenlandurlaubs gespielt – Kurt Raab, Ingrid Caven, Peter Kern, Daniel Schmid, Armin, der Freund von Dani und ich, und da sind schon Sachen passiert, die an der Grenze waren. Während der Filmarbeit aber konnte man nichts vertagen, hinausschieben, da wurde eben gedreht, da waren halt die Tränen vom vergangenen Abend, da war das Schreien und da hatte sich eben jemand umbringen wollen. Das war da und auch, dass andere versucht hatte, zu helfen oder versucht haben, das privat auszunutzen.

Stichwort „Dreharbeit“


Der Film ist in einer Atmosphäre entstanden, die ich als eine der positivsten empfand, in der ich jemals gedreht habe. Wir haben alle in einem Haus gelebt. Es ist fast nie jemand weg gewesen. Wir haben dieselben Spiele abends und die ganze Nacht durchgespielt, die es im Film gibt. Da hat sich viel an persönlichen Beziehungen verschoben, und das ist in die Arbeit eingegangen. Man hätte sich schon sehr gegen den Einfluss dieser Umstände wehren müssen, hätte man einen anderen Film machen wollen. Das war eine ähnliche Arbeitssituation wie Wim Wenders sie bei IM LAUF DER ZEIT gehabt hat.

Stichwort „Sozialkritik“


Ich wollte einen Film machen, der nicht mit jedem Satz, mit jeder Bewegung, mit jeder Kameraeinstellung so bewusst kritisch ist. Ich wollte eigentlich arbeiten wie beim Ballett. Bei allen meinen anderen Filmen, habe ich mich bei jedem Satz gefragt, darf man das so oder so sagen lassen oder muss man diesen Satz kritisch vorführen? Muss man diesen Gang, diesen Blick verdeutlichen? Dies alles nach gesellschaftskritischen Gesichtspunkten. Und dann habe ich mir vor diesem Film gesagt: mittlerweile müsste das, was in meinem Kopf ist, schon so gesellschaftskritisch sein, dass ich nicht ständig darüber nachdenken muss. Ich kann wahrscheinlich gar keinen faschistischen Film machen, selbst wenn ich nicht mehr Einstellung für Einstellung daraufhin genau überlege.

Stichwort „Choreographie“


Die Bewegungen der Kamera und der Schauspieler sind entsprechend den Spannungen choreographiert, die zwischen den einzelnen Personen bestehen. Und zwar haben wir uns von Einstellung zu Einstellung gefragt: wie sehr hasst diese Person in diesem Augenblick eine andere? Wie können wir das und wie können wir unsere Trauer über diesen Hass am besten ausdrücken? Und da gibt es eine Anzahl von Einstellungen und Kamerabewegungen, die den Personen folgen, aber auch eine ebenso große Zahl von Einstellungen, die unsere Haltung dazu zeigen. Das ist ziemlich genau durchdacht worden.

Stichwort „Einstellung zu Personen“


Unsere Haltung zu den Personen des Films hat. gewechselt. Es gab Momente, in denen wir – beispielsweise – die Person sehr mochten, die Brigitte Mira gespielt hat. Weil wir uns gesagt haben: okay, die hat mit Christ wohl irgendwann mal eine Geschichte gehabt (meine Version war, dass sie mal zusammen ein Bordell in Brüssel gehabt haben – aber sie können auch Waffen verschoben haben oder sonstwas). Er hat etwas daraus gemacht, sie nicht. Das fanden wir eher sympathisch. Und dann gab es wieder Momente, in denen wir ihre Haltung zu anderen Personen unsympathisch fanden. Darauf haben wir uns dann auch eingestellt. Es lag nicht von vornherein fest, es hat gewechselt: ob wir eine Person mochten, hat sich gerade auch im Wahrheitsspiel von Frage zu Frage und von Antwort zu Antwort verändert.

und:


Wie die Choreographie im einzelnen Fall bewerkstelligt werden sollte, stand also nicht fest. Zumindest haben wir angesichts der Situationen, die sich in der Küche abends ergeben haben, anders über Kamerabewegungen und Gänge nachgedacht als vor Drehbeginn; oder wir haben gesagt: der muss an dieser Stelle gehen, weil er die Situation sonst nicht aushält. Nicht all das ist in den Film reingekommen, jedenfalls nicht so, dass man sagen könnte, es handle sich um einen Dokumentarfilm über die Gruppe, das natürlich nicht.

Stichwort „Behandlung von Frauen“


Frauen sind in meinen Filmen natürlich insofern schlechter weggekommen, als ich sie besonders ernst genommen habe. Ich habe Frauen niemals deswegen besser behandelt, weil sie Frauen sind, sondern ich habe ihre Fehler ernst genommen. Und ich war auch immer ziemlich traurig darüber, dass mir das vorgeworfen worden ist – ich nämlich habe mir da selbst nichts vorzuwerfen. In diesem Film sind die Frauen stark und stärker als die Männer.

Stichwort „Zuschauer“


Auch das Spiel, das da im Film abläuft, ist nicht glatt. Man weiß zwar ziemlich früh, wer in diesem Spiel gemeint ist, aber es gibt eine Unzahl von Antworten in diesem Spiel, die man nicht erwartet und die der Film bis dahin nicht erklärt. Der Zuschauer muss aus den Antworten schon selbst seine Welt zusammenbauen. Wirklich wird der Film erst dadurch, dass er gesehen wird; und das, was da auf der Leinwand ist, ist erst dann tatsächlich vorhanden, wenn da jemand sitzt, es sieht und in seinem Kopf etwas daraus macht.

(Sämtliche Zitate stammen aus einem Gespräch mit Rainer Werner Fassbinder und sind daher mehr Rede als geschriebener Text.)

(aus dem Presseheft)

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