Berlin, 23.01.1997
Die Parasiten des Ruhms

Lust auf die umfassendste Fassbinder-Werkschau, die es je gab? Kein Problem. Sie beginnt heute – nicht in Deutschland freilich, sondern in New York. Hierzulande ist ein solches Vorhaben unbezahlbar / Von Peter W. Jansen

Der Tagesspiegel

Lust auf die umfassendste Fassbinder-Werkschau, die es je gab? Kein Problem. Sie beginnt heute – nicht in Deutschland freilich, sondern in New York. Hierzulande ist ein solches Vorhaben unbezahlbar / Von Peter W. Jansen

Schon seit Anfang des Jahres laufen die Filme in der 53. Straße, gleich neben der Fifth Avenue, nicht weit vom Central Park, nicht weit vom Broadway, im Museum of Modern Art. „You are cordially invited to press screenings for Rainer Werner Fassbinder“ stand auf der Einladung. Und: Warner Communications Screening Room, 5th floor. Warner, das hätte ihn amüsiert. Und New York, seine Stadt. Oder die Stadt, die die seine noch hätte werden sollen, mehr als München, anders als Berlin, intensiver als Paris.
Das Museum of Modern Art zeigt, von heute an bis zum 20. März, die bisher vollständigste Retrospektive seines Werks. Danach gehen die Filme, zusammen mit einer begleitenden Ausstellung und befördert von den Goethe-Instituten der USA und Kanadas, noch in 13 weitere Städte, darunter Los Angeles, Toronto, Washington D.C., Chicago, Berkeley und San Francisco, bis die Tour im Februar 1998 in Montreal endet.
Amerika, du hast es besser: diese ultimative Fassbinder-Werkschau wäre bei uns nicht möglich. Es müssten mindestens die fünfzehneinhalb Stunden von BERLIN ALEXANDERPLATZ fehlen, die Tantiemen wären hier nicht zu bezahlen. Amerika, du hast es besser, weil Inter Nationes die außerdeutschen Aufführungsrechte rechtzeitig erworben hat. So vermögend ist auch die Rainer Werner Fassbinder Foundation nicht, Erbin und Nachlassverwalterin in eins, um auch nur eine einzige öffentliche Präsentation des Megafilms abzugelten. Sie verfügt über die Rechte an sämtlichen Werken Fassbinders, der Filme wie der Stücke, Hörspiele und Drehbücher – und kann doch nicht damit tun, was sie will.
Das Haus: ein renovierter Altbau in Schöneberg, nicht weit vorn Potsdamer Platz. Ein Klingelschild: Lorenz. Weder draußen noch in der Toreinfahrt noch vor der Wohnungstür das Messingschild, es muss nicht immer Platin sein, das ich erwartet habe. Nichts zu sehen von „Rainer Werner Fassbinder Foundation“. Erst wenn die Wohnungstür sich öffnet: der Vorderhausteil einer Altberliner Bürger-Wohnung, vier, fünf Zimmer – Büros, Besprechungsraum, Archivräume. Und Juliane Lorenz, eine Wucht von einer Frau, die hohe Sensibilität gepanzert. Den Panzer braucht die langjährige Cutterin und letzte Gefährtin Fassbinders auch als Geschäftsführerin der Foundation wohl noch immer, wenn es darum geht, ein Erbe zu verwalten, an dem, immer noch, viele teilhaben wollen – und sei es, um im späten Abglanz dieser Sonne selbst ein bisschen zu glänzen: Parasiten des Ruhms. Kurfürstenstraße 17, so dicht am Herzen der Stadt, so nahe an der Potsdamer Straße, der Kochstraße, den „Medien“, und doch beinahe unbekannt. Die Rainer Werner Fassbinder Foundation, 1986 ins Leben gerufen von der mittlerweile verstorbenen Fassbinder-Mutter Lilo Eder (in seinen Filmen meistens Pempeit), machte zuerst durch Querelen von sich reden, an denen viel mehr als Gerede nicht war, als müsse ein Genie notgedrungen nur Chaos und Unruhe hinterlassen, prügelnde Diadochen, Absahner der Muttermilch.
Trotzdem gelang der gemeinnützigen Nachlass-Stiftung GmbH zu Fassbinders zehntem Todestag im Sommer ’92 eine grandiose Werkschau mit Filmen. Fotos, Dokumenten aller Art, Kostümen und Accessoires, Dekorationen, Skizzen, Briefen und Drehbüchern. Diese Ausstellung am Alexanderplatz ist unvergessen, nicht nur weil Heiner Müller, berührt bis zum Verstummen, durch die Räume und Flure um den Fernsehturm ging. Unvergesslich ist vor allem die Pressekonferenz zur Eröffnung, als Volker Schlöndorff von einer versicherungsmedizinischen Untersuchung des 24jährigen und damals schon gesundheitlich schwer angeschlagenen RWF erzählte und ihm die Stimme versagte. Und in der Nacht zum 46. Geburtstag des Toten wollte so recht keine Stimmung aufkommen unter uns Lemuren auf dem Fernsehturm hoch über der Stadt, die damals noch keine Baustelle war.
Die Foundation hat seit der Berliner Retrospektive von ’92 viele kleine Retrospektiven veranstaltet, immer wieder neue Filmpakete geschnürt und für den Verleih zur Verfügung gestellt. Und sie hat immer beides betrieben: das Sammeln und das Verbreiten. Zu beidem gehören das Erhalten und die Wiederaufbereitung der Filme, Abgeltung von Rückstellungen und (Neben)-Rechten, Sichern der Kopien, Förderung der Wiederaufführung. Jahrelang war, zum Beispiel, seit der Erstaufführung von 1970 WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE, Fassbinders Film übers Filmemachen und ein Wendepunkt in seinem Leben, nicht mehr zu sehen gewesen, nie mehr, nach einer einzigen Fernsehausstrahlung, MARTHA (1973), das enervierende Melodram der Hörigkeit. Hier wie da waren schier unlösbare Rechtefragen zu klären, nahezu unbezahlbare Rechte abzugelten, hier wie da gab es keine vorführbaren Kopien.
Filmkopien in einer bisher kaum noch vorstellbaren Vollständigkeit für das komplette Oeuvre bereitzustellen – das war nicht unter einer Million zu machen. Die Fördergremien allenthalben hielten die Hände dicht geschlossen über ihren Töpfen. Ein Werk zu erhalten und zu verbreiten, das wie kaum ein anderes schon, als es entstand, zur Weltgeschichte des Kino zählte, ein Werk zu pflegen und seine Rezeption zu fördern, das wie kaum ein zweites dem deutschen Film und diesem Land ihre Geschichte geschrieben hat, das steht nicht in den Richtlinien oder ist soeben daraus getilgt worden.
Damit wir nicht nur die Filme haben, die wir nicht besser verdienen, braucht es Kraft und Ideen und Initiative. Die Foundation hat gut drei Viertel der Kosten selbst aufgebracht. Fast der gesamte Rest konnte bei Benefiz-Veranstaltungen in Berlin und Bremen aufgebracht werden – und durch Spenden, zu denen die Foundation aufgerufen hatte. Unter den Spendern fand sich auch ein Student aus Ost-Berlin, der mit 2000 Mark wohl mehr als ein ganzes Monatsbudget zur Verfügung stellte. Aus Dankbarkeit, schrieb er, für Fassbinders Filme, für das, was sie für sein Leben bedeuteten. Zu bedeuten begonnen hatten, als er, jünger noch als die meisten dieser Filme, ihnen zum erstenmal begegnet war, im Sommer 1992, Berlin Alexanderplatz.



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