Mumpitz, aber appetitlich

WELT AM DRAHT (I)

Ganz so perfekt wie die Routiniers der amerikanischen Krimi- und Science-Fiction-Serien beherrscht Rainer Werner Fassbinder das Handwerk zwar noch nicht, aber die erste Folge seines zweiteiligen Zukunftskrimis „Welt am Draht“ (nach einem Goldmann-Taschenbuch von Daniel F. Galouye) zeigte doch immerhin, daß er die jungfilmerischen Eierschalen jetzt weitgehend abgestreift hat. Sein neuer, zusammen mit Fritz Müller-Scherz gedrehter Film hatte Drive und Ansehnlichkeit, was natürlich auch an dem großen Aufgebot guter, erfahrener Schauspieler lag, allen voran Klaus Löwitsch in der Rolle des Ingenieurs Stiller.

Was Fassbinder vor allem noch lernen muß, ist das Schreiben handfester, nicht allzu banaler Dialoge und wie man solche Dialoge knapp und treffsicher in Szene setzt. Im Augenblick benötigt er für die gleiche Szene etwa doppelt soviel Zeit wie die Kollegen von „Raumschiff Enterprise“ oder „Invasion von der Wega“. Die Pausen tropfen bedeutungsschwanger, die Worte fallen, als müßten sie erst mühsam aus einem Sirup herausgezogen werden. Aber das sind Schönheitsfehler, über die man hinwegsehen kann.

Die Story, die Fassbinder und Müller-Scherz servieren, läßt sich nicht würdigen, bevor man den zweiten Teil gesehen hat. Von Daniel F. Galouye stammt die hübsche, wenn auch nicht sonderlich originelle Science-Fiction-Idee von den menschenähnlichen „Simulacroneinheiten“, die nur als Elektronenblitz aus der Retorte existieren, gern aber richtige Menschen werden möchten und schließlich auch werden. Es ist das alte Frankenstein-Thema. Fassbinder und Müller-Scherz reichern es mit modischer Gesellschaftskritik an. Der Leiter des staatlichen „Simulacron-Zentrums“ verscheuert seine Kenntnisse an die profitorientierte Privatindustrie, und weil ihm der brave, aufs Allgemeinwohl bedachte Ingenieur Stiller dabei im Wege ist, überzieht er ihn heimtückisch mit allerlei Unbill. Vor allem hat er ihm seine Sekretärin zugeteilt, die den Auftrag hat, ihren Chef zu bespitzeln. Barbara Valentin verkörpert dieses blonde Gift im genauen Sinne des Wortes. Da es ihr zunächst einmal darauf ankommt, das „menschliche Vertrauen“ Stillers zu gewinnen, läßt sie ihn immer wieder tiefe Einblicke in ihren bemerkenswerten Ausschnitt tun. Das Ganze ist natürlich Mumpitz, doch es ist appetitlicher Mumpitz – der Zuschauer fragt sich gespannt, wohin Stiller auf diesem Glatteis schlittert.

Nun denn, heute Abend, wenn der zweite Teil gesendet wird, werden wir’s erfahren. (WDR)

Andreas Wild

Die Welt, 16.10.1973

 

Wie Stiller gerettet wird

WELT AM DRAHT (II)

Der zweite Teil von Rainer Werner Fassbinders Zukunftskrimi nahm die von der Romanvorlage vorgezeichnete Wendung: Fred Stiller, der leitende Ingenieur des „Simulacron-Zentrums“, in dem menschenähnliche „Simulacron-Einheiten“ simuliert werden, entdeckt, daß er und seine Welt ihrerseits auch nur „Simulacron-Einheiten“ sind, programmiert von einer Überzivilisation, gegen die es kein Aufbäumen gibt. Daß Stiller die mißliche Wahrheit überhaupt erkennen kann, verdankt er einer Laune des Chefs im „Simulacron-Zentrum“ der Überzivilisation. Dieser hat ihn, Stiller, nach seinem Ebenbild geschaffen, nur hat er dabei seinen eigenen Charakter (wie das bei Menschen üblich ist) zu positiv eingeschätzt, weshalb Stiller einen besseren Charakter hat als sein Ebenbild in der Überzivilisation.

Die Rettung für Stiller kommt nun von der Freundin des überzivilisierten Chefs, die sich in Stillers besseren Charakter verliebt und deshalb beschließt, einen „Bewußtseinsaustausch“ vorzunehmen. Warum und wie das möglich ist, erfahren wir im Film leider nicht. Jedenfalls: Gerade als die Simulacron-Einheit Stiller erschossen wird, holt die Freundin Stillers Bewußtsein – hast du nicht gesehen – in die Überzivilisation herauf und pflanzt es dem Körper des Überchefs ein. Stiller ist ein neuer Mensch – oder genauer: er ist nun überhaupt erst einmal wirklicher Mensch. Die Simulacron-Einheit hat den Platz des Menschen eingenommen.

Fassbinder hat die überkandidelte Geschichte recht überzeugend ins Bild gesetzt (sofern man hier von „überzeugend“ sprechen kann). Freilich gefiel uns der erste Teil des Films besser als der zweite. Die Banalität der Dialoge steigerte sich leider gegen Ende hin, es wurde zuviel pseudophilosophiert und pseudopsychologisiert. Außerdem trat doch wieder sehr stark die Krankheit der Jungfilmer hervor: Die Kamera machte sich selbständig, verweilte geschmäcklerisch bei ihren Einstellungen, produzierte am laufenden Band „schöne Bilder“, mit denen der Zuschauer nichts anfangen konnte. So bleibt im Rückblick auf das Unternehmen „Welt am Draht“ nur die Erinnerung an einige geistreiche Filmgags und Filmtricks und an einige vorzügliche schauspielerische Leistungen, von denen ausdrücklich noch einmal Klaus Löwitsch als Stiller genannt werden soll. (WDR)

Andreas Wild

DIE WELT, 18.10.1973



zurück



 


 


©2013 Rainer Werner Fassbinder Foundation | Impressum