„Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“

Von Cronenbergs „eXistenZ“ (1999) über „Matrix“ (1999–2003) bishin zu „Avatar“ ist künstliche Realität ein Standardthema im Science-Fiction-Kino. Wenig bekannt ist, dass es auch Fassbinder interessierte. Seit der Ausstrahlung 1973 war sein Zweiteiler „Welt am Draht“ nicht zu sehen. Jetzt haben der Kameramann Michael Ballhaus und Juliane Lorenz von der Fassbinder Foundation den Film restauriert.

Fassbinder erzählt – nach Daniel F. Galouyes Roman „Simulacron-3“ – von einem Institut, das im Großrechner eine komplette Welt simuliert, inklusive Tausender digitaler Menschen, die von ihrer eigenen Künstlichkeit keine Ahnung haben. Der Institutsleiter Fred Stiller gerät in Lebensgefahr, als ein Verdacht in ihm aufkeimt: Auch er selbst ist – mitsamt der ganzen Welt um ihn – nur das Blendwerk eines weiteren Simulationscomputers.

Am Effektkino war Fassbinder nicht interessiert; die digitalisierte Welt konnte er 1973 auch noch nicht vorhersehen. Der Melodramatiker des entfremdeten Lebens zielte stattdessen aufs Existenzielle; er bevölkert seinen Kosmos mit apathischen, wie auf Abruf agierenden Figuren und beobachtet, wie sein Hauptdarsteller Klaus Löwitsch um ein echtes Leben im falschen ringt – sodass auch der Science-Fiction-Plot auf einen klassischen Fassbinder-Konflikt zuläuft.

Gibt es wahre Gefühle in der Simulation? Michael Ballhaus glaubt daran: „In meiner Vorstellung sind Gefühle keine Fiktion. Gefühle sind immer echt.“ Ballhaus, der für die Rainer Werner Fassbinder Foundation (RWFF) die Restaurierung betreut hat, war 1973 als Kameramann dabei. Seinem Virtuosentum verdankt es sich, dass der Film das Thema auch visuell durchdekliniert: Hier durchtrennen Fensterlamellen wie die Drähte des Titels das Bild; dort sprechen die Darsteller als augentäuschende Spiegelbilder miteinander oder aneinander vorbei. „Das ergab sich über das Thema. Und wir haben es auch über die Schauspieler erreicht“, erklärt Ballhaus im Gespräch mit unserer Zeitung einen Eindruck von Künstlichkeit, der keine Tricktechnik braucht. „Fassbinder hat mit Stars gearbeitet, die aus dem Heimatfilm stammten und ihre große Zeit hinter sich hatten; dazu haben sie besonders unnaturalistisch agiert. Zum anderen haben wir nach Bildern gesucht, die eine damals unbekannte Modernität hatten. Gedreht haben wir in der avantgardistischen Architektur in Paris.“

Sieht der 74-Jährige den Film heute von der Wirklichkeit bestätigt? „Ich glaube, dass Fassbinder eine philosophische Frage im Kopf hatte, die nicht aufhören kann, aktuell zu sein. Wie wirklich ist unsere Wirklichkeit?“, so Ballhaus. „Die Möglichkeit, dass unsere Welt nicht real ist, besteht ja unverändert. Deswegen kann man auch nicht überprüfen, ob Fassbinders Vision eingetroffen ist. Seine Skepsis ist grundsätzlich und unterwandert jedes Erlebnis.“

Als RWFF-Geschäftsführerin hat Juliane Lorenz einen Großteil des Fassbinder-Werks restauriert; freut sie sich, dass ihr aktuelles Projekt so gut in den Zeitgeist passt? Die Fassbinder-Erbin winkt ab: „‚Welt am Draht‘ hatte ich lange auf der Agenda. Die Stoffrechte hat seit Jahren die Foundation. Aber der WDR besitzt als ausführender Produzent das Material; da muss man verhandeln“, sagt sie. „Dazu kommt die neue Frage der außerfernsehmäßigen Rechte. Ein weites Feld. Der WDR hat allerdings nicht die Strukturen und das Know-how, um die alten Filme abzutasten und aufzubereiten. Die sind froh, dass wir das machen. Sonst ist es bei Fassbinder gar nicht so kompliziert. Die meisten Stoffe hat er ja selbst geschrieben.“

Warum müssen Fassbinders Filme überhaupt bearbeitet werden? „Die Kopie war verblasst, und wir haben die Farben wieder hervorgeholt. Eine große Freude!“, sagt der Kameramann – der trotzdem die Größe hatte, seine Fehler von damals nicht zu kaschieren. Einen dicken Fussel etwa hat er erhalten: „Der Film ist 35 Jahre alt. Da darf er auch Fussel im Bild haben. Ich glaube nicht, dass die Leute den überhaupt sehen. Die konzentrieren sich auf die Gesichter“, konstatiert er.

1999 hatte Ballhaus noch einmal mit „Simulacron-3“ zu tun, als Ko-Produzent der Neuverfilmung „13th Floor“ von Josef Rusnak. „Mich hatte der Stoff immer fasziniert, und deswegen hatte ich die Rechte erworben. Ich wollte wissen, ob man den Film heute besser machen könnte, als wir es damals hingekriegt haben. Durch die digitale Technik kann man inzwischen viel mehr Wunder erzeugen.“ Und als Roland Emmerich ihn um die Rechte bat, lenkte Ballhaus ein. „Eigentlich wollte ich den Film selber machen, aber ich hatte zuviel zu tun.“ Ballhaus ernüchterndes Fazit: „Ich finde das Ergebnis bei Weitem nicht so gut wie ‚Welt am Draht‘.“

Daniel Benedict
 
Neue Osnabrücker Zeitung, 04.03.2010



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