EDV Elegie

ARD, Sonntag, 14., und Dienstag, 16. Oktober: „Welt am Draht" von Rainer Werner Fassbinder

Am Ende des ersten Teils fand das elektronische Märchen eine erste, so phantastische wie poetische Erklärung: Das gigantische Kybernetik-Institut mitsamt seinen Computern und seinem Personal war seinerseits nur eine Welt am Draht, die Versuchsstation einer höheren, realeren Sphäre, war selbst nur ein Simulationsmodell, die Ausgeburt eines Meta-Computers „Simulacron”, eines technischen Monstrums mit der Fähigkeit, bestimmte „Identitätseinheiten" so echt zu simulieren, daß sie wie wirkliche Menschen herumlaufen.

Ein Computer-Traumspiel, zelebriert als psychedelischer Sinnenrausch. Suggestive Kamera-Bewegungen in spröden, kahlen Vorstadt-Landschaften und im IBM-Design, verfremdet zu einer Mixtur aus „2001", Jugendstil, Interlübke und Futurismus; bedeutungsschwere Bilder, Gesten, Sätze, Zufahrten auf Gesichter; Figuren, rätselhaft und schwermütig, artifizielle Wesen, Marionetten, dann wieder ganz natürlich, „normal".

Irritationen, Mystifikationen: Menschen verschwanden plötzlich, und keiner wollte sie je gesehen haben (da ließ Hitchcock grüßen), der Held dagegen brachte Zeiten, Personen, Zusammenhänge durcheinander. Dieser Dr. Stiller: war er verrückt, schizophren, waren die Figuren und Ereignisse um ihn nur die Phantasmagorien seines kranken Hirns? Die panische Angst, nur eine Nummer zu sein, ein elektronisches Produkt, eine leblose, beliebig auslöschbare Schaltung in einer von höheren Wesen „programmierten" Unterwelt — sie trieb ihn direkt in die Arme einer „Kontakteinheit" aus der Oberwelt, der die Unterwelt-Projektion ihres Geliebten lieber ist als das Original...

Keine ideologische und aktionsreiche Sciencefiction, sondern eine Elegie, von einer visuellen Dichte und Imagination, von einer professionell perfekten Komposition, die heute im deutschen Film keiner wie Fassbinder zu evozieren vermag und die man ihm nach der grobmaschigen Familienserie „8 Stunden sind kein Tag" nicht mehr zugetraut hatte. Alles löst er; in extrem künstliche optische Vorgänge auf: Die Relativität von Zeit und Wirklichkeit, Stillers verstörtes Bewußtsein, die Verschachtelungen von Fiktion, Vision und realer Aktion werden hier zu einem vagen, immer leicht irrealen Vexierspiel, Reflexionen zu Reflexen und Spiegelungen, Gedankenspiele zu verschwimmenden Glas-, Licht und Farbeffekten. Die Handlung blieb dünn, der Dialog flach und beliebig, alles war diffus und mäßig spannend und traurig-schön. Und diese fluoreszierenden Bilder genügten: leere Hülsen, angenehm benebelnd.

Im zweiten Teil wurde die Szenerie etwas konkreter, der Zauberspuk teilweise recht irdisch. Aber rechtzeitig setzte die Verätselung wieder ein, die Musik (Bach, Tangos, flirrendes elektronisches Gesurre und Gezirpe, vorher schon „Tristan", Mahler, Gregorianische Gesänge, Strauß-Walzer) machte das Stück wieder irreal, artifiziell und zum Märchen. Auch die Schauspieler wurden zu sichtbar künstlichen Wesen: Hatte Fassbinder schon mit der beträchtlichen Garde von Altstars dem alten Kino seine Reverenz erwiesen, so zitierte er nun ganz direkt. Sternbergs „Dishonored", Zadeks „Pott", Godards „Alphaville", Truffauts „Fahrenheit", Kubricks „2001", Antonionis „Zabriskie Point" — und funktionierte die , Figuren noch einmal um.

Wolf Donner

DIE ZEIT, Nr. 43, 19.10.1973



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