Drei Stunden ohne Langeweile

"Welt am Draht", von Rainer Werner Fassbinder (WDR, 14./16.10.)

epd   Zugegeben, Rainer Werner Fassbinder hat hier den routinierten Herstellern von Fernsehunterhaltung, von Krimis und dergleichen Feierabendvergnügungen, eine Lektion erteilt. Seine zusammen mit Fritz Müller-Scherz verfaßte Bearbeitung des Science-Fiction-Romans von Daniel F. Galouye mag zwar den WDR-Dramaturgen Peter Märtesheimer enttäuscht haben, der vielleicht etwas gesellschaftlich Relevanteres erwartet hatte: “Das ist ganz ohne Botschaft gemeint, ohne Philosophie, eher ein Denk- oder Gedankenspielchen ohne Sinn und tiefere Bedeutung”, räsonierte der ambitionierte Märtesheimer. Doch genau das ist die Stärke von Fassbinders zweiteiligem Fernsehfilm über einen verwirrenden Kosmos, in dem jede Welt sich nur als die elektronische Simulation einer anderen Welt erweist, die wiederum auch nicht wirklich existiert. Hätte Fassbinder, der im Umgang mit der Gesellschaftskritik in seinen bisherigen („Katzelmacher, „Händler der vier Jahreszeiten“) und auch in seiner Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ kaum über präzise Genrebilder aus dem kleinbürgerlichen Milieu und aktionistische Scheinlösungen hinauskam, hier eine gesellschaftskritische „message“ einbringen wollen, so wäre dies gewiß schief gelaufen.

Doch der fast permanent filmende Fassbinder begnügte sich hier mit dem, was er kann und was er in seinen Gangsterfilmen auch schon angedeutet hat, mit der filmischen (daß er in diesem Fall an den Bildschirm dachte war ein zusätzlicher Gewinn) Aufklärung und Ritualisierung einer von zahllosen Klischees befrachteten Geschichte. Nach einem et­was zähen Anlauf im ersten Teil erreichte Fassbinder im zweiten Teil durchaus ein auf deutschen Fernsehschirmen seltenes Niveau von atmosphärischer Dichte und unterhaltsamer Spannung. Und das immerhin in einem Genre, mit dem man hierzulande noch nie zurechtkam: weder in der Literatur noch im Film oder gar im Fernsehen.

Angefangen von der Besetzung, die alte und neue bekannte Namen geschickt mischte, über manch nostalgischen Zwischenton, etwa in dem Ausschnitt aus Sternbergs "Dishonoured", bis hin zu der mehr als zweihundert Minuten durchgehaltenen stilistischen Festlegung auf oft fast unaufhörliche Fahrten und Schwenks, auf einen modisch?melancholischen Grundton und auf eine Dekoration, die die Szenen oft bis ins Unendliche spiegelte, stimmte hier alles zusammen. Um mehr als solche – immerhin auch höheren Ansprüchen genügende – Unterhaltung, die Spannungen aufbaut, um Entspannung zu schaffen, ging es in diesem Spiel mit der Phantasie auch wohl nicht. Man sollte das nicht geringschätzig abtun, ohne die hier eingesetzte handwerkliche Sorgfalt, die nicht mit Routine verwechselt werden darf, und die filmische Phantasie zu erkennen. Freilich sollte man Fassbinders Fernsehfilm auch nicht auf Grund seiner ausgefallenen Einfälle, die doch meist Selbstzweck bleiben und nur kurzfristig faszinieren, überschätzen. Fazit: In diesen rund drei Stunden blieb man immerhin von der sonst so häufigen mausgrauen Fernsehlangeweile verschont.

Wolfgang Ruf

epd / Kirche und Fernsehen Nr. 38 vom 20. Oktober 1973



zurück













 

©2013 Rainer Werner Fassbinder Foundation | Impressum